Vendée Globe 2020 Boris Herrmann: „Ich bin der Jäger, die anderen die Gejagten“
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7. Februar 2021Yannick Bestaven gewinnt die Vendée Globe 2020 mit einer Zeit von 80 Tagen, 3 Stunden, 44 Minuten und 46 Sekunden nach einer dramatischen Nacht die hundertausende begeisterte Fans in Atem hielt. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Rennens, dass als das härteste Segelrennen überhaupt gilt, ist ein Deutscher mit am Start. Boris Herrmann, der sich während der 80 Tage dieses Rennen, in das Herz vieler neuer Fans segelt. Viele dieser neuen Segelfans hatten bis dahin mit Segelrennen gar nichts am Hut. Das sich das so radikal änderte lag an der Persönlichkeit Boris Herrmann, aber auch an den dramatischen Ereignissen dieses Rennens. Noch nie lag die Spitzengruppe zum Ende des Rennens so eng beieinander, noch nie zuvor stellte sich ein Deutscher Segler dieser Herausforderung und noch nie gab es eine größere Chance für den Traum des Deutschen Boris Herrmann , die Vendée Globe zu beenden. Bis wenige Stunden vor dem Ziel gab es sogar eine sehr sehr realistische Chance für Deutschen Boris Herrmann, am Ende auf dem Siegertreppchen zu stehen. Doch dann kam alles anders. Eines ist bereits heute klar. Deutschland ist im Segelfieber. Aber was genau ist die Vandée Globe und was passierte am Abend des 27.01.2021 als sich die Spitzengruppe in einer dramatischen Jagd auf den führenden Charlie Dalin dem Ziel näherte?
Vendée Globe 2020/2021
Am 08.11.2020 startete das wohl härteste Segelrennen der Welt im französischen Les Sables d’Olonne: Die Vendée Globe 2020.
Bis heute ist die Vendée Globe die größte Segelregatta rund um die Welt, solo, nonstop und ohne Hilfe. Die Veranstaltung folgte auf die Golden Globe, die 1968 die erste Weltumsegelung dieser Art über die drei Kaps (Good Hope, Leeuwin und Horn) umfasste. Von den neun Pionieren, die 1968 aufgebrochen waren, schaffte nur einer die Rückkehr nach Falmouth, dem Haupthafen des britischen Cornwalls. Am 6. April 1969, nach 313 Tagen auf See, erreichte der britische Segler Robin Knox-Johnston endlich sein Ziel. Zwanzig Jahre später, nachdem er zweimal die BOC Challenge (Solo-Weltumsegelung mit Zwischenstopps) gewonnen hatte, äußerte der Navigator Philippe Jeantot, die Idee für ein neues Rennen um die Welt: „aber Nonstop!“ Das Vendée Globe Rennen war geboren. Am 26. November 1989 gingen dreizehn Segler an den Start der ersten Ausgabe, die über drei Monate dauerte. Nur sieben kehrten nach Les Sables d’Olonne zurück.
Der Everest der Meere
In den acht Auflagen dieses Rennens, das von der Öffentlichkeit inzwischen als der Everest der Meere bezeichnet wird, gingen 167 Teilnehmer an den Start dieses außergewöhnlichen Rennens. Nur 89 von ihnen haben es geschafft, die Ziellinie zu überqueren. Allein diese Zahl zeigt den extremen Schwierigkeitsgrad dieses globalen Ereignisses, bei dem die Solo-Rennfahrer mit eisiger Kälte, gigantischen Wellen und schwerem Wetter konfrontiert sind, der über das Südpolarmeer fegt! Die Vendée Globe ist eine Reise über die Meere, aber vor allem zu sich selbst. Die Isolation und die Einsamkeit, erfordert eine unglaubliche mentale Stärke. Die Segellegenden die dieses Rennen gewannen waren: Titouan Lamazou 1990, Alain Gautier 1993, Christophe Auguin 1997, Vincent Riou 2005, François Gabart 2013 und Armel LeCléac’h 2017. Der Skipper aus dem Finistère wurde mit 74 Tagen zum neuen Rekordhalter dieses Rennens. Nur ein Segler hat es zweimal gewonnen: Michel Desjoyeaux, in den Jahren 2001 und 2009. Die Wettstreiter der 9. Vendée Globe hatten Les Sables d’Olonne am Sonntag, den 8. November 2020 verlassen.
Als erster über die Ziellinie und doch nicht gewonnen: Charlie Dalin
Mit einer Zeit von 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden fährt der Franzose Charlie Dalin mit seiner Imoca Rennyacht Apivia als erster über die Ziellinie. Überglücklich genießt er diesen Moment in dem all die Anspannung und Strapazen der vergangen Wochen von ihm abfallen. Sein Backbord Foil war defekt, was ihn daran gehindert hatte volle Leistung zu fahren wenn der Wind von Steuerbord kam. „Es wurde echt Zeit anzukommen, mein Kocher war defekt und ich konnte meine fertig Trockennahrung nicht mehr aufbereiten„, so Dalin im anschließenden Interview.
So groß der Respekt für diesen großartigen Segler auch ist, ganz Deutschland fieberte in diesem Moment noch mit dem Deutschen Boris Herrmann, denn aufgrund von Zeitgutschriften für seine Beteiligung an der Rettungsaktion von Kevin Escoffier, lag er rechnerisch zu diesem Zeitpunkt auf Platz 2 hinter dem Franzosen Yannick Bestaven- selbst der Siegerpodest war noch möglich, wenn er es schaffte noch etwas Speed aus seiner Imoca zu holen. Alle verfolgten Boris Kurs auf der Tracking-Map auf der seine Geschwindigkeit, Kurs und Windverhältnisse regelmäßig aktualisiert wurden. In einem Livestream des NDR verfolgten eingefleischte, wie erst frisch begeisterte Vandée Globe Fans die Geschehnisse.
Der NDR Kommentator Peter Carstens, der zusammen mit der Segellegende Tom Kröger die Zieleinläufe kommentierte, übersetzte gerade erste französische Interviews, als sie erst im Redefluss zu stockten begannen und dann ganz unterbrachen: „Ich würde gerne noch weiter übersetzen…aber wir haben gerade eine sehr ernste Meldung hereinbekommen. Boris Herrmann hatte ca. 80sm vor dem Ziel eine Kollision mit einem Fischtrawler. Boris ist unverletzt. Sein Boot wurde beschädigt. Wie es aussieht ist ein Foil kaputt…Boris ist aktuell noch mit etwa 7kn unterwegs…mehr wissen wir im Moment noch nicht. Wir informieren Sie, sobald wir mehr Informationen haben“. Alle Zuschauer vor den Bildschirmen waren geschockt. In Internet Foren galt Boris bereits seit Wochen als neue Sportlegende und wurde mit Namen wie Michael Schuhmacher, Boris Becker, oder Rosi Mittermeier in einem Atemzug genannt. Boris ließ seine Fans am Rennen teilhaben. Berichtete täglich in seinem Blog: https://www.borisherrmannracing.com/vendee-globe-2020-blog/. Egal wie das Rennen auch ausgeht, eines steht fest, Boris ist der Gewinner der Herzen- und das nicht nur für Deutschland.
Etwa eine Stunde später schickte Boris Herrmann ein Video in dem er die Geschehnisse kommentierte:
„Vor ungefähr einer halben Stunde bin ich mit einem Hochsee Fischerboot kollidiert. Ein richtig großer Fischtrawler.“
Gegenüber dem Spiegel berichtet er später, dass alleine auf der Brücke 15 Menschen standen, die ihm auf Spanisch zu brüllten.
„Ich schlief gerade, war hier im Cockpit. Ich wachte auf und schaute auf eine riesige Wand, sah den Fishtrawler. Meine Segel auf der Steuerbordseite hingen an seiner Seite des Fischtrawlers. Ich hörte Segel reißen. Mein Gennaker hatte sich in seinen Kränen und anderen seitlichen Aufbauten verfangen. Mein Outrigger knallte ein paar Male in den Fischtrawler. Dann konnte ich an ihm entlang rutschen und glücklicherweise frei kommen. Aber das war ein echter Schockmoment.
Danach habe ich erstmal das wichtigste untersucht. Es drang kein Wasser ein. Das Foil ist beschädigt. Aber nicht der Foil-Kasten. Der Bugspriet ist abgebrochen. Der Bugkorb ist ebenfalls gebrochen, hängt aber noch dran. Dann hatte ich noch das kaputte und nun flatternde Segel in der Luft. Ich habe erstmal tief Luft geholt, mich angezogen und meinen Lifebelt angelegt. Glücklicherweise war ich hellwach und blieb ruhig. Ich ging aufs Vordeck und habe einen Plan gemacht, wie ich das Segel wieder an Bord bekommen kann. Zuerst dachte ich daran, alles wegzuschneiden. Doch dann dachte ich, dass ich vielleicht das Fall und andere Sachen später noch nutzen kann. Ich habe das Luv-Ruderblatt runtergelassen, um beim Steuern maximale Sicherheit zu haben. Das war ein ziemlich harter Job. Danach bin ich zur Inspektion auf den Outrigger geklettert. Das obere Want ist abgebrochen, am Beschlag abgeschoren. Aber der Outrigger ist noch an seinem Platz und ich konnte ein Notwant setzen. Der Mast hat zwei Wanten. Das untere ist noch da. Ich segle auf Steuerbordbug also sieht das Rigg gut aus. Und scheint sicher für den Moment, soweit ich das beurteilen kann.
Jetzt stehe ich mit dem Shore-Team in Kontakt, um den besten Plan zu entwickeln. Ich werden vermutlich mein Großsegel reffen. Es ist immer noch voll gesetzt. Um sicherer zu segeln. Und ich habe das halbgebrochene, verbogene Foil im Wasser hängen. Ich habs geschafft. Es ist jetzt eben passiert.
Das ist sicher der schlimmste Alptraum, der mir je passiert ist. Das positive daran ist, dass wir noch immer im Rennen sind und immer noch einen Mast haben. Es sind 85 Seemeilen bis ins Ziel. Ich denke, dass wir das schaffen können. Wir werden viele Plätze verlieren, aber das ist nahezu zweitrangig im Moment. Was mich wirklich bewegt ist die Frage, warum das passiert ist. Ich hatte alle Alarmsysteme an. Es gab an diesem Nachmittag viele Schiffe. Der Radaralarm hat mich jedes Mal perfekt gewarnt. Der AIS-Alarm hat mich gewarnt. Auch Oscar war an. Ich hatte alles an. Und ich habe mit jedem Schiff bewusst gecheckt, ob der Alarm gut funktioniert. Ich habe auf dem Radar beobachtet, wie das Echo ist. Und das hat bei all den Schiffen perfekt funktioniert, denen ich begegnet bin.
Als ich nach dem Vorfall wieder unter Deck war, gab es aber keinen Alarm. Wie kann das Radar dieses Schiff nicht sehen? Ich habe keine Ahnung. Manchmal machen die Fischer ihr AIS nicht an. Ich versuche noch einmal tief Luft zu holen und dieses Problem mit dem Want zu lösen und freue mich, dass ich das Rennen beenden kann. Es ist ziemlich herzzerreißend, aber wir werden das schaffen.“
Boris Herrmanns Rennteam nach später Kontakt zu den Fischern auf. Glücklicherweise gab es offenbar keine Verletzte.
Boris in seinem Blog an seine Fans: „Ich habe gekämpft wie ein Löwe„
Später in der Nacht schickte Boris Herrmann noch eine Nachricht an alle Fans die mit ihm fiebern:
„Ich bin um 19.30 Uhr mit einem Fischerboot kollidiert. Dabei sind keine Personen zu Schaden gekommen. Ich kann mein Rennen fortsetzen, bin aber deutlich verlangsamt. Ich fahre jetzt sechs, sieben Knoten. Ich werde morgen voraussichtlich gegen Mittag oder am frühen Nachmittag anstatt wie geplant heute kurz nach Mitternacht ins Ziel kommen. Damit sind das Podium und die Platzierungen natürlich weg. Aber ich sehe es wie ein Unglück. Und das Positive an dem Unglück ist, dass ich trotzdem die Vendée Globe beenden werde, dass niemand zu Schaden gekommen ist und die Schäden am Schiff reparabel sind. Dennoch ist es ein harter Tag für mich. Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Das lachende sagt ‚Sei froh, dass es nicht an anderer Stelle, früher im Rennen passiert ist. Sei froh das du das Rennnen beenden kannst‘, das weinende Auge sieht natürlich die Schäden und das verlorene Podium nach 80 Tagen dermaßen harter Arbeit. Diese einmalige Chance im Leben… Vielleicht werde ich nie wieder so nah rankommen an so ein Podium? Ich habe gekämpft wie ein Löwe in den letzten Tagen. Und heute… Na, gut. Ich freue mich trotzdem auf das Ankommen. Darauf, die Menschen wiederzusehen. Und meinen ersten Tag an Land in diesem Jahr morgen zu beginnen. Beste Grüße von Bord von einem geknickten und etwas betrübten Skipper.“
Yannick Bestaven fährt über die Ziellinie und steht als Gesamtsieger fest
Während sich Boris beständig mit 7 bis 8kn dem Ziel nähert, peitscht Yannick Bestaven seine Imoca „Maitre Coq IV“ über die Ziellinie. Dank einer Zeitgutschrift von 10 Stunden 15 Minuten, die er für die Beteilung an der Rettung des havarierten von Kevin Escoffier in der Nacht zum 01.Dezember 2020 erhalten hat, gewinnt er verdient dieses großartige Rennen.
Endlich, Boris auf der Zielgeraden
Am nächsten Morgen, gegen 11:15 ist es dann endlich soweit. Der Race-Tracker zeigt nur noch wenige Seemeilen bis zum Ziel und nun überträgt der Hubschrauber der Vandée Globe erste Bilder des Deutschen wie er mit seiner beschädigten Imoca „Sea Explorer“ auf das Ziel zufährt.
Im Hafen angekommen erwartet ihn sein Team und er schließt glücklich seine Frau und seine kleine Tochter in die Arme. Das die Segler nicht nur Gegner sind, sondern viele eine tiefe Freundschaft verbindet, konnte man an der herzlichen Begrüßung auf dem Steg sehen.
Mit mir hat die Vandée Globe einen neuen Fan hinzugewonnen. Wenn sich Boris Herrmann von den Strapazen dieses 80 Tage Rennens erholt hat hoffe ich, dass er auch in 4 Jahren wieder mit antreten wird. Die positive Publicity für die Boris gesorgt hat, kann sehr gut dazu beitragen, dass wir in 4 Jahren vielleicht nicht nur ein Deutsches Boot in der Startaufstellung sehen. Für die Sponsoren dürfte die Investition ein voller Erfolg gewesen sein. Viele, die von der Vandée Globe bislang noch nie etwas gehört und mit Segelrennen nichts am Hut hatten, wurden innerhalb weniger Wochen zu größten Fans. Das ist in erster Linie Boris Herrmann und seiner Art zuzuschreiben, wie er die Zuschauer bei diesem, wohl härtesten Rennen der Welt hat teilhaben lassen.
Am Sonntag Abend hatten 10 Boote bereits die Ziellinie überquert. 15 Boote sind aktuell noch im Rennen. 200sm vor dem Ziel peitscht der Wind aktuell mit 32kn (59Km/h) dem nächsten Segelrennsportler Armel Tripon, um die Ohren. Als führende Frau im Rennen, trennt Clarisse Cremer noch 762sm vom Ziel. Wir wünschen allen, dass sie gesund im Ziel ankommen, Mast und Schotbruch und stets eine handbreit Wasser unter Kiel.
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